Das japanische Schwert
 
3.1 Die Herstellung

Elemente des Katana

Der Schaffungsprozess eines japanischen Schwertes erfolgte, wie auch heute noch, in würdig-ritueller, beinahe religiöser Stimmung.42 Der Meister einer Schwertschmiede nahm täglich symbolische Waschungen vor, die sowohl seinen Geist, wie auch seinen Körper reinigen sollten. Überhaupt war die Reinheit eines der Grundprinzipien, das beim gesamten Herstellungsvorgang beachtet werden musste und welches auch von allen Angehörigen dieses Berufstandes gleich gehandhabt wurde. Die Einzelheiten des Schwertschmiedevorgangs jedoch, wie zum Beispiel die Temperatur des Abschreck-Wassers oder die Art des verwendeten Roheisens, waren streng gehütete Geheimnisse, die über Generationen in den Schwertschmiedeschulen weitergegeben wurden und nie nach Aussen dringen durften.

Im Laufe der Zeit - insbesondere während den unruhigen Jahre der sengoku-Epoche (1477-1615) und dreihundertunddreissig Jahre später im Zweiten Weltkrieg - ging viel Wissen über die traditionelle Schwertherstellung verloren. Deshalb wird im Folgenden die heutige Herstellung eines Schwertes beschrieben, die trotz des verlorenen Wissens noch immer ein höchst raffiniertes und komplexes Verfahren darstellt.

3.1.1 Das Material

Bei der Herstellung eines originalen japanischen Schwertes wird üblicherweise eine traditionelle japanische Stahlqualität mit der Bezeichnung tamahagane verwendet. Dieser Stahl besteht, wie jeder andere Stahl auch, aus Eisen mit Kohlenstoff. Die Besonderheit dieser japanischen Stahlart jedoch ist, dass sie bereits - durch das spezielle Schmelzverfahren - einen hohen Kohlenstoffanteil besitzt und normalerweise nicht mehr vom Schmied selbst mit Kohlenstoff angereichert werden muss. Sobald der Schmied seinen tamahagane erhält, sortiert er die einzelnen Stücke, wobei er den Stahl mit blossem Auge nach seinem Kohlenstoffgehalt sortieren kann. Durch die Verwendung von Metallstücken unterschiedlichen Kohlenstoffgehaltes, kann der Schmied die genaue Zusammensetzung des Schwertes, das aus härterem, spröderem und weicherem, zäherem Stahl bestehen soll, bestimmen.43

3.1.2 Das Schmieden

Als erstes nimmt der Schmied diejenigen Bruchstücke, welche seiner Meinung nach den geeignetsten Kohlenstoffgehalt aufweisen und erhitzt sie in der Esse. Anschliessend schmiedet er sie mit seinem Schmiedehammer zu flachen Stücken, die er daraufhin in kaltem Wasser abschreckt, um sie zu härten. Nach diesem Härtungsvorgang, zerschlägt er die gehärteten Bruchstücke und sortiert sie erneut nach ihrem Kohlenstoffgehalt, um den geeigneten Stahl für den Klingenmantel (jap. kawagane) zu erhalten. Ist dies erledigt, werden die ausgewählten Stücke des Klingenmantels auf eine Stahlplatte, die an eine Haltevorrichtung angeschmiedet ist, gestapelt. Der Rohstahlhaufen wird nun so lange in der Esse erhitzt, bis er etwa 1300 Grad erreicht hat und mit dem Hammer sorgfältig zu einem Ganzen verschweisst werden kann. Nun folgt ein entscheidender Teil der Schmiedearbeit. Der Schmied formt den zusammengeschweissten Rohstahl zu einem länglichen Stahlquader, dann wird mit einem Meissel eine tiefe Kerbe in den Block getrieben und die beiden nun entstandenen Barrenhälften übereinander geklappt, so dass erneut ein länglicher Stahlquader entsteht. Dieser Faltvorgang wird sechsmal wiederholt und heisst shita-gitae (jap. „Grundschmiedevorgang“). Ist dies abgeschlossen, wird der Stahlbarren in drei gleichgrosse Stücke geteilt. Zwei dieser Stücke würden für ein Kurzschwert reichen, für ein längeres Schwert, in diesem Fall ein katana, werden jedoch vier Stücke benötigt, was bedeutet, dass ein Stück aus einem früheren Schmiedevorgang beigefügt werden muss. Die vier Stücke werden erneut aufeinander gestapelt und verschweisst. Daraufhin werden weitere sechs bis sieben Faltvorgänge nach obigem Beispiel durchgeführt. Die Anzahl der Faltvorgänge ist nicht explizit vorgeschrieben und von Schmied zu Schmied verschieden. Angeblich soll die höchste dokumentierte Anzahl 30 betragen, was 1'073'741'824 Schichten entsprechen würde.44 Durch diese Vorgänge wird der Kohlenstoff gleichmässig verteilt und mögliche Schlackenrückstände herausgearbeitet. Ausserdem entsteht so auf der Klinge ein Linienmuster aus Schichten, das als dekoratives Element verwendet wird und als „Handschrift“ des Schmiedes gilt.

Der so entstandene kawagane wird um den shingane, den Kernstahl, gelegt, der ebenfalls mehrfach gefaltet wurde jedoch einen niedrigeren Kohlenstoffgehalt aufweist, wodurch er weicher und zäher ist. Da der shingane biegsamer ist als der Stahlmantel, weist das Schwert weniger Anfälligkeit gegenüber Rissbildung und zu hoher Belastung auf. Kawagane und shingane werden in einem nächsten Verarbeitungsschritt zu einem einzigen Stahlbarren verschweisst, so dass keine Lücken mehr vorhanden sind und nirgends mehr der Stahlkern zu sehen ist. Sollte dem Schmied bei diesem Arbeitsschritt ein Fehler unterlaufen, hätte das verheerende Folgen für die Qualität des Schwertes.

Als nächstes wird der aus verbundenem Kern- und Mantelstahl bestehende Stahlbarren in einen sunobe genannten Schwertrohling umgeschmiedet. Dieser Klingenrohling besitzt erst ungefähr 90% der endgültigen Länge des Schwertes. Damit wird der Ausdehnung während dem weiterem Schmiedevorgang Rechnung getragen. Das Schwert ist in diesem Zustand der Bearbeitung erst etwa 66 bis 70cm lang und die Krümmung noch nicht herausgearbeitet (diese entsteht erst durch das Härten), doch lässt sich die fertige Form des Schwertes schon erahnen. Um eine glatte Oberfläche zu erhalten, wird das Schwert mit dem Hammer bearbeitet. Die Klinge ist in diesem Stadium noch relativ dick (ca. 2.5mm an der Schneide), was das Risiko einer Beschädigung minimiert.

Nach dem Behämmern des Stahles erfolgt eine Behandlung der Schwertflanken mit einem Schaber. Die Oberfläche des Schwertes wird jedoch rauh belassen, damit die für den späteren Härtungsvorgang nötige Lehmummantelung gut haften kann. Die Ummantelung dient dazu, die Abkühlung der einzelnen Schwertabschnitte, wie Schneide, Rücken oder Klingenkörper, zu regulieren. Durch das Abschrecken von glühendem Stahl in Wasser, wird dieser gehärtet, und je schneller diese Abkühlung erfolgt, desto härter, aber auch spröder wird er. Das Ziel bei der Abschreckung einer japanischen Schwerklinge ist es, die Schneide und den restlichen Klingenkörper unterschiedlich stark zu härten. Während der Schneidebereich der Klinge sehr stark, sollte der Rest der Klinge nur leicht gehärtet werden, um ihre Elastizität und Zähigkeit zu bewahren. Deshalb wird die fertig geschmiedete, kalte Klinge in eine Lehmschicht gehüllt, anschliessend stark erhitzt und schliesslich samt getrockneter Lehmummantelung in kaltem Wasser abgeschreckt. Da der Lehm an der Schneide dünner als am Klingenrücken aufgetragen wurde, kühlt diese schneller ab und wird somit stärker gehärtet. An der Schneide kommt es durch die schnelle Abkühlung zu einer leichten Ausdehnung des Materials, während der Klingenrücken, der, geschützt durch die Lehmummantelung, langsamer abgekühlt wurde, keine Ausdehnung erfährt. Diese unterschiedliche Ausdehnung von Klingenrücken und Schneide verleiht der Klinge ihre Krümmung.

Da sich bei der Härtung die Kristallstruktur des Stahles verändert, nehmen die am stärksten gehärteten Bereiche eine helle Farbe an. Dieser Effekt wird beim japanischen Schwert ganz bewusst angewendet, um eine möglichst prägnante Härtelinie entlang der Schneide des Schwertes zu erhalten. Der sogenannte hamon, wie diese Härtelinie genannt wird, ist wahrscheinlich das wichtigste ästhetische Charaktermerkmal der Klinge, und er ist es auch, der Schlüsse auf die Qualität und den Hersteller der Klinge zulässt. In vielen Werken werden ganz unterschiedliche Ausführungen des hamon dargestellt, die alle mit eigenen Namen versehen wurden. Sie ermöglichen somit eine zeitliche und örtliche Einordnung der Schwerter, da die angewendeten Muster neben anderen Merkmalen, wie verschiedengrosse körnige oder quer verlaufende Effekte, die alle ebenfalls mit speziellen Fachausdrücken bezeichnet wurden, sich je nach Zeit und Ort unterschieden.45

3.1.3 Das Polieren

Das Hauptziel der Politur ist es, die Schneide eines Schwertes zu schärfen. Aber zu den Aufgaben eines Polierers gehört auch das Festlegen der endgültigen Form der Klinge, die Ausarbeitung und Hervorhebung der Härtelinie, das Betonen des Charakters eines Schwertes, und natürlich ist auch er es, dem die Aufgabe zufällt, das Schwert auf Hochglanz zu bringen. Der Polierer versucht durch die Anwendung von Schleifsteinen immer kleinerer Körnungen, alle Kratzer und Unebenheiten zu überdecken, indem er sich bemüht, die von seinen Schleifsteinen hinterlassenen Kratzer kleiner werden zu lassen, als die Oberflächenstruktur der vom Schmied bearbeiteten Klinge. Gelingt ihm dies, sind die Schleifspuren der von ihm angewandten Steine nicht mehr zu sehen. Bei diesem Vorgang besteht die Gefahr, dass die vom Schmied hervorgerufenen, beabsichtigten Merkmale und Effekte der Klinge und Schneide durch eine unsachgemässe Behandlung undeutlich werden oder gar vollständig verschwinden.

Da Stahl einem ständigen Rostungsprozess unterliegt, ist es heute beinahe unmöglich die Vorgehensweise und die Techniken der Polierer des 13. oder des 16. Jahrhunderts zu erkennen, denn alle Klingen dieser Zeit wurden später erneut poliert und die Spuren früherer Polituren verwischt. Aus diesem Grund wird hier auf die moderne Form des Polierens und der Polierkunst eingegangen.

Der Polierer hält mit seinem Fuss eine Halteklammer fest, mit deren Hilfe er den Schleifstein auf einem Holzklotz fixiert. Der gesamte Arbeitsplatz des Polierers ist eigentlich ein Becken, wobei der Boden leicht geneigt ist, da beim Schleifen Wasser als Gleitmittel verwendet wird und dieses somit leicht wieder abfliessen kann. Der fixierte, noch sehr grobe Schleifstein wird vorwiegend für die Grundpolitur (jap. shitajitogi) verwendet. Oft jedoch bringen die Schmiede die Grundpolitur selbst an, um die Linienführung der Klinge selbst bestimmen zu können. In den ersten Schleifvorgängen besteht ein grosses Risiko, tiefe Kratzer in der Klinge zu verursachen, die sich nicht mehr entfernen lassen, denn die verwendeten Steine sind ziemlich grob und rauh. Die Klinge muss deshalb mit grosser Genauigkeit und Sorgfalt über diese Steine geführt werden. Sie wird dabei von der blossen linken Hand gehalten, während die rechte Hand mit einem Tuch umwickelt ist. Den ganzen Schleifprozess hindurch ist die Schneide vom Körper abgewandt um eventuelle Verletzungen zu vermeiden. Nach der Grundpolitur, bei welcher nicht etwa der Stein bewegt wird, sondern das Schwert, werden eine ganze Reihe von immer feiner werdenden Steinsorten auf die Klinge angewendet. Diese Schleifsteine werden erst genau senkrecht zur Klinge und mit zunehmender Körnung immer stärker der Schneide und der Härtelinie entlang geführt. Nun beginnt der Polierer mit dem shiagetogi, der Endpolitur, bei der es sich genau andersherum verhält. Der Polierer schleift ein kleines Stück eines extrem feinkörnigen Steines bis auf eine gleichmässige Stärke von 1,6 mm herunter und klebt ihn mit Lack auf ein Stück poröses Japanpapier (jap. yoshinogami) auf - so entsteht ein daumengrosses „Schleifpapier“, das hazuya genannt wird. Es dient dazu, die gesamte Klinge so zu polieren, dass alle Bearbeitungsspuren der vorhergehenden Grundpolitur nicht mehr gesehen werden können. Nach Abschluss dieser Arbeit folgen weitere Polierverfahren, welche vorwiegend kosmetischer Natur sind. Mit einer Emulsion aus Eisenoxidpartikel und Pflanzenöl (jap. nugui ) wird die gesamte Klinge bearbeitet. Dadurch nimmt der Stahl eine dunklere Färbung an, so dass die Metallstruktur und andere Oberflächendetails besser zur Geltung kommen. An die nugui-Behandlung schliesst sich eine erneute Schleifprozedur dem gesamten hamon entlang: Mit dem hazuya-Plättchen, das nun rundgeschnitten wurde, um der Härtelinie besser folgen zu können, wird eine weitere Trennlinie zwischen der gehärteten Schneide und den Klingenflanken geschaffen. Dieser Vorgang wird hadori genannt. Bei allen vorangegangenen Arbeitsschritten, ausser bei der Grundpolitur, war die Spitze stets ausgenommen. Nach Beendigung des hadori wird die Spitze, welche vom Rest der Klinge durch einen geraden Grat (jap. yokote) getrennt ist, in Angriff genommen. Sollte kein deutlicher yokote sichtbar sein, wird einer nachträglich angebracht. Mit dem hazuya und unter Hilfenahme eines abfedernden Holzblocks mit verschieden grossen Einschnitten, wird nun die Spitze (jap. boshi) so lange bearbeitet, bis sie sich durch matten Glanz und einem weissen Farbton deutlich von den anderen Teilen der Klinge abhebt. Als letztes wird eine Hochglanzpolitur (jap. migaki) vorgenommen; die gesamte Stahloberfläche hinter dem yokote wird mit einem ibota genannten Pulver aus wachshaltigen Exkrementen eines mit den Zikaden verwandten Insekts eingestäubt und mit einer Stahlnadel bearbeitet. Das Resultat ist ein gleichmässiger Spiegelglanz. Der gesamte Poliervorgang dauert etwa zehn Tage bis zwei Wochen.46 Sind Schmied und Polierer mit dem Resultat der Arbeiten zufrieden, wird an der Schwertangel (jap. tsuka) eine Signatur (jap. mei) eingemeisselt, welche nach dem Anbringen des Schwertgriffes nicht mehr sichtbar ist. Schliesslich wird eine Scheide aus rohem Holz (jap. shira-zaya, wörtlich: "weisse Scheide") - oder eine volle Montur (jap. koshirae) bestehend aus Beimesser (jap. kogatana), Schwertnadel (jap. kôgai)47 und einer verankernden Klingenzwinge (jap. habaki) - angebracht: Ein neues japanisches Schwert ist entstanden, das jedoch, trotz aller Bemühungen seitens der Schmiede noch nicht einem Schwert des 13. Jahrhunderts in seiner Perfektion gleichkommt.48

3.2 Die Geschichte

Einzelne Schwerter waren so berühmt, dass sie mit Eigennamen bedacht wurden und so in die Geschichte Japans eingegangen sind. In der Entstehungssage Japans beispielsweise, übergab die Sonnengöttin Amaterasu ein solches Schwert, mit Namen Kusanagi („Grasmäher“), an den ersten weltlichen Kaiser Jimmu Tenno. Dessen Sohn, Prinz Yamato Takeru, sollte sich einst, als er von Rebellen angegriffen wurde und das weite Grassfeld, auf dem er sich befand, in Brand gesetzt wurde, dadurch gerettet haben, dass er mit dem Schwert das brennende Gras in weitem Kreis um sich herum abschnitt und so den Flammen entging. Das Schwert Kusanagi bildete, zusammen mit dem Spiegel und dem Juwel, die drei Reichsinsignien Japans, welche von einem Herrscher zum nächsten weitergegeben wurde. Während des Gempei-Krieges (1180-1185 n. Chr.), in der Seeschlacht um Dan-no-ura (1184), ertrank der junge Kaiser Antoku und mit ihm verschwand auch das Schwert Kusanagi in den Fluten. Neben diesem Schwert gab es noch die "fünf himmlischen Schwerter" (jap. tenka go ken), um die sich unzählige Legenden ranken. Jedes dieser Schwerter war ein Meisterwerk der Schmiedekunst, das zwischen dem 10. und dem 13. Jahrhundert geschaffen wurde und zu den besten ihrer Art gehörte. Sie waren die Krönung der Waffensammlungen der grossen Herrscher Japans und wurden von Generation zu Generation weitervererbt.49

Die Funde in den Gräbern der kofun-Kultur (300-710 n. Chr.), die Mythen Japans, Romane und Gedichte, die Chroniken der daimyô und die schriftlichen Zeugnisse, sowie die mündlichen Überlieferungen der Schmiede- und der Kampfeskunst sind die wichtigsten Quellen, welche uns über die Entwicklung der Herstellung und Form der Schwerter Auskunft geben können.

3.2.1 Die Epoche der jôkotô („antiken Schwerter“): ca. 300- 900 n. Chr.

Die ältesten erhaltenen Schwertexemplare stammen aus den Hügelgräbern der kofun-Kultur (300-710 n. Chr.) und werden jôkoto genannt. Sie sind heute allgemein in einem schlechten Zustand, zeichnen sich aber durch einen sehr gut geschmiedeten Stahl aus und besitzen in den meisten Fällen eine gerade, der Klinge nach verlaufende Härtungszeichnung. Anders als die Schwerter späterer Epochen waren diese Klingen, bis auf die abgerundete Spitze, gerade, besassen also noch nicht die für spätere japanische Schwerter so charakteristische Krümmung. Es wird angenommen, dass diese Klingenform auf Vorgänger aus China und Korea zurückzuführen ist, die, da eher kurz und leicht, wahrscheinlich nicht als Hieb- sondern eher als Stichwaffen verwendet wurden. Seit dem neunten und zehnten Jahrhundert wurden die Schwerter länger und mit einer ersten, damals noch leichten Kurvenführung versehen. Dies scheint eine allmähliche Anpassung an die Bedürfnisse der vorwiegend zu Pferde kämpfenden Kriegern zu sein.50

3.2.2 Die Epoche der kotô („alten Schwerter“): ca. 900- 1600 n. Chr.

Seit der Mitte der Heian-Periode (etwa ab dem 10. Jahrhundert n. Chr.) erhöhte sich die Qualität der gefertigten Schwerter stark. Der Gebrauch der Schwerter, der nun vor allem von den berittenen Streiter gepflegt wurde, nahm seit dieser Zeit dermassen zu, dass die Stellung des Schwertes in der Kriegsführung beinahe den Status der ehemals weit höher eingestuften Bögen erreichte. Insbesondere die Schwerter der Kamakura-Periode (1185-1333 n. Chr.) stellten einen einmaligen qualitativen Höhepunkt der Schwertschmiedekunst dar. In dieser Zeit erreichten die höfischen Langschwerter, die sogenannten tachi, die zum Teil als reine Repräsentations-Objekte verwendet wurden, ihre grösste Länge und wurden, um den verbesserten Rüstungen, die schwieriger zu durchdringen waren, gerecht zu werden, weit schwerer gefertigt, was ihre Durchschlagskraft noch weiter erhöhte. Nach den beiden Mongolen-Invasionen51 wurde die Notwendigkeit kürzerer Schwerter für die unberittenen Truppen erkannt und deshalb das Schwert verkürzt. In der darauffolgenden Muromachi-Periode (1338- 1573 n. Chr.) lässt sich wegen der ständigen Kämpfe und der Ausfuhr von japanischen Schwertern52 - beides für die erhöhten Stückzahlen verantwortlich - ein auf die Massenproduktion zurückzuführender Qualitätsrückgang beobachten. Eine grosse Rolle spielte auch die alte Tradition der Weitergabe von geheimen Techniken vom Schwertschmied zu seinem Lehrling, die im Zuge der andauernden Kämpfe allmählich unterging. Zu dieser Zeit gingen alte Fertigkeiten und Schmiedetechniken verloren, die später nicht wieder nachvollzogen werden konnten.53

3.2.3 Die Epoche der shintô („neuen Schwerter“): ab 1600 n. Chr.

Nach der Einigung des Landes durch Toyotomi Hideyoshi (1536-1598) gegen Ende des 16. Jahrhunderts ging das Land einer zweihundert Jahre währenden Friedens- aber auch Isolationsperiode entgegen. In dieser Zeit verlor das Schwert langsam seine Bedeutung als Waffe und wurde mehr und mehr mit Zierraten und sonstigem Beiwerk (wie dem vormals schlichten, nun teilweise sehr ausgefallenen Handschutz, jap. tsuba) ausgestattet. Wegen des Verkaufs von qualitativ hochwertigem Roheisen und der Einfuhr von ausländischem Schmiedestahl verschwanden durch lokale Eigenheiten des Rohstoffes entstandene Färbungen der Schwerter. Gleichzeitig liessen diese neuen Materialien jedoch die Herstellung von Schwertern mit einem helleren Farbton und glänzenden Kristallstrukturen zu, welche für diese Zeit charakteristisch sind. Allgemein wurde die Verarbeitungsqualität der Schwerter erhöht, und durch die Entwicklung neuer Zierwerke, wie Beimesser (jap. kogatana) und Schwertnadeln (jap. kôgai) wurde ein neuer Handwerkszweig eröffnet, der in den friedlichen Jahren der Edo-Zeit (1603- 1868) hohe Blüten trug.54

3.2.4 Die Epoche der gendaitô („modernen Schwerter“): seit ca. 1868

Die Schwerter, welche seit der Meiji-Reform 1868 hergestellt wurden, sind als gendaitô bekannt. Besonders die Schwerter, die für das Militär produziert und im ersten und zweiten Weltkrieg verwendet wurden, zeigten Anzeichen eines bevorstehenden Unterganges der Schwertschmiedetätigkeit in Japan. Sie besassen weder ein hamon noch irgendein anderes Charaktermerkmal der Schwertschmiedekunst, denn sie wurden rein industriell in sehr hohen Stückzahlen angefertigt. Unter der amerikanischen Besatzung (1945-1953), nach der Niederlage Japans, wurde die Herstellung gesetzlich verboten und sowohl der Besitz, wie auch die Erhaltung der Schwerter erheblich erschwert. Erst 1953 wurde das Verbot wieder aufgehoben, wobei eine „Gesellschaft zur Erhaltung des japanischen Kunst-Schwertes“ (Nihon bijutsu tôken hozon kyôkai, abgekürzt: NBTHK) gegründet wurde, deren Ziel es war, die Massenfertigung von wertlosen Waffen zu verhindern und den Schmieden die Möglichkeit zu geben, die Kunst des Schwertschmiedens - trotz des Verlusts weiterer Techniken, Verfahren und Erfahrungen, welche der Tod einer ganzen Generation von Schwertschmieden im zweiten Weltkrieg verursacht hatte - wieder zu altem oder gar zu neuem Glanze zu verhelfen.55 Die hohe Wertschätzung, welche der traditionellen Schwertschmiedekunst auch heute noch entgegengebracht wird, zeigt sich darin, dass der japanische Staat mehreren besonders fähigen Schwertschmieden den Titel eines „Nationalschatzes“ (jap. kokuhô) verliehen und ihnen finanzielle Unterstützung gewährt hat.

42 Turnbull, Stephen: The Book of the Samurai, The Warrior Class of Japan, Arms and Armour Press: London 1982, S.66. (zurück)

43 Kapp, Hiroko und Leon; Yoshihara, Yoshindo: 1987, S.61-66. (zurück)

44 Turnbull, Stephen: 1998, S.123. (zurück)

45 Siehe: Kapp, Hiroko und Leon; Yoshihara, Yoshindo: 1987, S.65- 94. (zurück)

46 Der Poliervorgang ist derart raffiniert, dass - theoretisch bei guter Pflege der Klinge - keine Nachpolierungen mehr nötig sind. (zurück)

47 Siehe: Mauer, Kuno: 1981, S.327. (zurück)

48 Die Beschreibung der Herstellungstechnik in diesem Kapitel beruht vorwiegend auf: Kodansha: 1983, S.287 und Kapp, Hiroko und Leon; Yoshihara, Yoshindo: 1987, S.40, 103, 107-109, 112, 116-121,124-126. (zurück)

49 www.page-five.de/TENSHU/stahl.htm, www.usagiyojimbo.com/realms.html und Hall, John Whitney: 1984, S.88. (zurück)

50 Kodansha Encyclopedia of Japan, Kodansha: Tôkyô, 1983, S.287 (zurück)

51 Nachdem Tschingis-Khan 1206 bis 1260 Indien, Kleinasien, Russland und bis 1280 auch China grösstenteils unterworfen hatte, wandte sein Nachfolger Kublai Khan sich erstmals 1274 und dann wieder 1281 in Richtung Japan, um das Inselreich zu unterwerfen. Beide Angriffe wurden durch Taifune vereitelt, siehe: Ramming, M.: 1941 S.400f. (zurück)

52 Siehe: Ramming, M.: 1941 S.516 (zurück)

53 Siehe: Kodansha Encyclopedia of Japan, Kodansha: Tôkyô, 1983 S.287 (zurück)

54 Kapp, Hiroko und Leon; Yoshihara, Yoshindo: 1987, S.23ff. und Kodansha: 1983, S.287. (zurück)

55 Kapp, Hiroko und Leon; Yoshihara, Yoshindo: 1987, S.17, 19 und S. 27. (zurück)